Weihnachtsgeschichten: Alles schweigt (von Martin Ganteföhr)

Liebe Freundinnen und Freunde des Podcasts!

Wie versprochen gibt es in diesem Jahr einen ganz besonderen Weihnachtsbonus in Form von Kurzgeschichten deutscher Spieleautoren. Den Anfang macht Martin Ganteföhr („The Moment of Silence“, „State of Mind“) mit „Alles schweigt – Es ist Advent und der Liebe Gott zieht den Stecker“. Wir hoffen, ihr habt Freude an diesem kleinen Podcast-Experiment und wünschen euch erneut alles, alles Gute für den Jahresausklang! Viel Spaß!

Eure The Pod Crew

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Alles schweigt
Es ist Advent, und der liebe Gott zieht den Stecker
von Martin Ganteföhr

Draußen stürmt und schneit es, die Welt geht unter, aber wir sind sicher hier drin. Sollte gleich der Strom ausfallen, denk dir nichts dabei. Wir sitzen dann im Finstern, nur die Bildröhren leuchten nach, aber ich schalte mein Notebook ein, es hat hundert Prozent Akkustand. Im Licht des Displays kann ich den Fehler suchen, Dreierstecker, Wasserkocher, Sicherungen, und weil ich nichts finde, gehe ich ins Treppenhaus, auch dort kein Licht. Du wartest bitte hier, ich bin nur kurz draußen vor der Tür, wo die Laternen erloschen sind und die Fenster aller Häuser schwarz.

Sohnemann, die ganze Stadt liegt im Dunkeln. Das geht vorbei, wir kommen hier sehr gut zurecht. Zwar kühlt der Boiler aus und die Heizung streikt und der Kühlschrank taut ab und wir können nicht mehr kochen, aber wir legen die Vorräte raus auf die Terrasse, und nachher essen wir Eis. Es könnte schlimmer sein. Stell dir vor, wir säßen als Kosmonauten auf einer Station im Orbit fest, der Staat, der uns nach oben geschickt hat, ist zusammengebrochen, und nun holt uns niemand mehr ab. Oder wir wären die Raketenbesatzung im Endlosraum eines Arcadeautomaten, wir fliegen rechts raus und links wieder rein, wie zwei Idioten, die Bodenkontrolle ist im Blackout verschwunden, und gegen die Asteroiden haben wir nur die Bordkanone. Von da oben gesehen geht es uns hier nicht schlecht.

Siehst du, es tut sich was, die Küchenlampe hat geflackert. Das ist unser Zeichen zum Aufbruch. Zieh die warme Jacke an, wir machen einen Spaziergang durch den Sturm, zum Supermarkt an der Ausfallstraße, für ein paar Besorgungen. Ich nehme den Zimmermannshammer mit, er taugt nämlich nichts, und vielleicht kann ich ihn umtauschen. Es ist arschkalt auf dem Weg, aber da springen schon die Laternen wieder an, und der Markt hat auch geöffnet.

Bevor wir reingehen, kurzes Briefing, komm mal her. Wir sind jetzt Komplizen, verstehst du, wir müssen schnell und schweigsam sein. Wir gehen zuerst zum Regal mit den Kerzen und Batterien und Streichhölzern, dann zu den Konserven und zum Zwieback. Sollte da drin das Licht flackern, werden die Kassiererinnen dastehen wie Rehe im Fernlicht, vielleicht rappelt eine auf der Gabel eines Telefons herum, denk dir nichts dabei. Wir stehlen hier nichts. Wir warten, sind freundlich, bezahlen und gehen, vorbei an einem Streifenwagen. Dann fällt wieder der Strom aus, und diesmal bleibt es dabei.

Zurück nehmen wir den Weg durch die Altstadt, den Hexengang, das ist kürzer. Sieh am Ende des Gewölbes nicht nach rechts, da hängt ein Mann, halbnackt, verwundet in der Flanke, angenagelt an ein Kreuz, kein schöner Anblick. Achte auch nicht auf die Gestalten, die auf dem Domplatz an den Autos herumscharren, geduckte Wesen im Schneetreiben, maskiert mit Kapuzen und Schals, das sind unsere Nachbarn. Zwischen ihnen und uns wird gleich eine Tür sein, die man abschließen kann, wir müssen nur in Bewegung bleiben, immer aufs Ziel zugehen. Es ist nicht mehr weit.

Zuhause schiebe ich die Kette vor, wir stellen Kerzen auf, ich lege den Hammer neben mich aufs Sofa, hantiere eine Weile mit Teelichtern, Stövchen, Konserven, und dann essen wir eben doch das kalte Zeug. In den Fenstern verdoppelt sich der Kerzenschein, wir sehen nur noch unsere Spiegelbilder, nicht mehr die Nacht, und ich versichere dir, hinter der Scheibe steht niemand. Lass uns noch ein bisschen darüber sprechen, was wir am schönsten fanden an diesem Tag. Schließlich ist es Advent, ich erzähle dir von der Weihnachtsbotschaft, vom Frieden unter den Menschen. Darüber wirst du müde und still, du schläfst ein —  und alles schweigt. Jetzt habe ich Zeit, das Schild zu machen.

Plünderer, schreibe ich drauf, versucht es erst gar nicht, ich bin hier drin mit einem großen Hund, meiner hässlichen Frau, zwei Schrotflinten und einem Zimmermannshammer. Das habe ich aus irgendeiner Untergangserzählung, frag mich nicht, welche. Endzeitroman, Survival Game, biblisches Weltgericht, Hurricane Katrina, Blackout von New York, Münsterländer Schneechaos, wahr, erlebt, erfunden, befürchtet — es ist ja alles ein Brei.

Das Notebook meldet niedrigen Ladestand. Sohnemann, du wartest bitte hier, du schläfst weiter, ich bin nur kurz vor der Tür, um das Schild anzunageln. Draußen liegt die Stadt im Dunkeln, dem lieben Gott hat es gefallen, die Strommasten zu zerdrücken, aber er schaut auf uns, und von da oben gesehen geht es uns hier nicht schlecht. Der Kosmonaut ist ein halbes Jahr später aus dem Orbit abgeholt worden. So lange werden unsere Kerzen nicht reichen. Aber morgen geht die Sonne auf, dann sehen wir weiter.

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